Einleitung

Die historische Landnutzung in Mitteleuropa führte bis etwa Mitte des letzten Jahrhunderts durch die Schaffung vielfältiger Lebensräume zu einer Erhöhung der Artenvielfalt. Die industrielle Revolution leitete eine gegenteilige Entwicklung ein, die ihren Höhepunkt in der Intensivierung der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte und bis heute zu einem drastischen Artenrückgang führte. Beispielsweise wird der Intensivierung der Landwirtschaft ein großer Teil des Artenrückgangs bei den höheren Pflanzen zugeschrieben (KORNECK et al. 1988).

In den Mittelgebirgen erscheint die derzeitige Situation anders. Die Eifel blieb in ortsfernen oder unzugänglichen Gebieten von weitreichenden Intensivierungsmaßnahmen verschont. Durch sinkende Rentabilität in der Landwirtschaft wurden aber gerade in diesen Bereichen mehr und mehr Flächen aus der Produktion ausgegliedert. Die meisten der durch historische Nutzung entstandenen Offenlandbiotope fielen der natürlichen Sukzession zum natürlich vorherrschenden Wald anheim oder wurden aufgeforstet. Im Sinne eines modernen Arten- und Naturschutzes ist die Sicherung des genetischen Potentials der regionaltypischen Flora und Fauna für einen Großteil der Arten nur über eine der traditionellen Bewirtschaftungsweise nachempfundenen Nutzung bzw. Pflege möglich (Schumacher 1995).

Um vernetzten Naturschutzkonzepten, wie sie heute gefordert werden, nachzukommen, ist es notwendig, zunächst die einzelnen Arten und ihre Beziehung zum Lebensraum zu erforschen und daraus gegebenenfalls Schutzmaßnahmen abzuleiten.

In Anbetracht von 45 000 Tierarten in Deutschland ist es für den einzelnen Forscher unmöglich, auch nur die wesentlichen Organismen im tierischen Anteil einer Biozönose zu erfassen (Wilmanns 1987). Es ist demnach notwendig, sich bei solchen Untersuchungen auf bestimmte, gut determinierbare Tiergruppen zu konzentrieren (Kratochwil 1987).

Die Tagfalter sind eine dieser Tiergruppen. Sie haben sich bewährt, wenn man über das pflanzensoziologische Inventar eines Lebenraumes hinaus auch Beziehungen zu zoologischen Gliedern einer Biozönose beschreiben will. Die Tatsache, daß die Präimaginalstadien auf andere Ressourcen angewiesen sind als die Imagines, erfordert eine vielfältige Kombination von Habitatstrukturen. Aufgrund stenotoper Habitatbindung einiger Arten sind die tagaktiven Falter besonders geeignet, komplexere Beziehungen innerhalb einer Biozönose aufzuzeigen. Durch die an die spezifischen Bedingungen ihres Lebensraumes geknüpften Anforderungen stehen solche Arten repräsentativ für die Ansprüche einer Vielzahl weiterer, zum Teil schwer zu erforschender Organismen, da sie als Indikatoren spezifischer Biotopqualität fungieren. Schützt man diese Indikatorarten, wird effektiv ein Großteil der Biozönose geschützt.

In der Dissertation „Vegetation der Quellen, Sümpfe und Moore im Gebiet der deutsch-belgischen Hocheifel unter Einbezug von Konzepten zur Entwicklung, Renaturierung und Biotoppflege“ untersucht Doerpinghaus (in Vorb.) die biotische und abiotische „Ist“-Situation der genannten Biotopkomplexe. Die Naturnähe eines Areals spiegelt sich jedoch nicht nur in der Vegetationsstruktur wider, sondern auch in der von ihr abhängigen Falter-Fauna.

In der Vergangenheit wurde die Beziehung zwischen der Vegetation der nassen Standorte und ihrer typischen Tagfalterzönosen mehrfach untersucht (Meineke 1982, Steffny et al. 1984, Oppermann et al. 1987). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Tagfalterzönosen der von Doerpinghaus untersuchten Flächen. Dabei stehen folgende Arten im Vordergrund:

  • Lycaena helle (Blauschillernder Feuerfalter) (Denis & Schiffermüller, 1775)
  • Boloria eunomia (Randring-Perlmutterfalter) (Esper, 1799)
  • Brenthis ino (Violetter Silberfalter) (Rottemburg, 1775)
  • Boloria selene (Braunfleckiger Perlmutterfalter) (Denis & Schiffermüller, 1775)
  • Boloria aquilonaris (Hochmoor-Perlmutterfalter) (Stichel, 1908)

Bei Lycaena helle und Boloria eunomia wurde für die Eifel in mehreren Arbeiten eine eindeutige Habitatbindung an nicht genutzte, montane Feuchtwiesen festgestellt (Weidner 1990, Köhler 1993, Drews & Fechner 1996 und Bück 1996). Beide Arten sind stenotop, ihre Raupen ernähren sich monophag von den Blättern des Schlangenknöterichs (Polygonum bistorta). Lycaena helle und Boloria eunomia gelten als die am stärksten gefährdeten Leitarten des Feuchtgrünlandes. In den gleichen Lebensräumen treten Brenthis ino und Boloria selene auf (Fischer 1996). Ihre Raupen ernähren sich von Mädesüß (Filipendula ulmaria) bzw. verschiedenen Veilchen-Arten (Viola spec.). Bei Brenthis ino wird Großer Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis) als weitere Raupenfutterpflanze diskutiert (Tolman & Lewington 1998). Boloria aquilonaris lebt in Mitteleuropa auf Hoch- und Übergangsmooren, in denen die Moosbeere (Oxycoccus palustris) als ausschließliche Raupenfutterpflanze vorkommt und deren Randbereiche blütenreiche Flächen aufweisen (Weidemann 1995).

Im Einzelnen soll folgenden Fragen nachgegangen werden:

  • Wie sieht das Artenspektrum der tagaktiven Falter auf den untersuchten Flächen in der Hocheifel aus?
  • Wie verteilen sich insbesondere die Arten Lycaena helle, Boloria eunomia, Brenthis ino, Boloria selene und Boloria aquilonaris auf die untersuchten Flächen? Wo liegen die jeweiligen Verbreitungsschwerpunkte?
  • Worin unterscheiden sich die Habitatansprüche von Lycaena helle und Boloria eunomia? Beide Arten gelten als Eiszeitrelikte feucht/kalter Standorte mit boreal-arktisch-alpiner Verbreitung (Meineke 1985).
  • Wie stark ist die kleinräumige Bindung der Imagines dieser fünf Arten an die Raupenfutterpflanzen?
  • Ist anzunehmen, daß Sanguisorba officinalis als Raupenfutterpflanze für Brenthis ino dient?

Zusätzlich sollen folgende Aspekte angesprochen werden, die mit den genannten Fragen in engem Zusammenhang stehen:

  • Wie wirkt sich unterschiedliche Nutzung bzw. Pflege auf die Falterfauna aus?
  • Wie können die Populationen der Falterarten langfristig gesichert werden?

Um Biotope anhand von Indikatorarten beschreiben, einordnen und sichern zu können, müssen deren Ansprüche möglichst genau bekannt sein. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen einen Beitrag zur Spezifizierung der Indikatorfunktion der Tagfalter leisten.